Der Schussablauf

Bei Beginn des Trainings soll man den Kreislauf anregen und den Körper z. B. mit Dehnübungen auf die Anforderungen vorbereiten, doch den Puls nicht zu sehr beschleunigen, denn beim Bogenschiessen bekommt Unruhe weder dem Körper noch dem Geist. Daher sollte dem praktischen Training auch eine Übung zur Ruhetönung vorausgehen.



Die Unterteilung der Schiessbewegung als einer fliessenden Verlaufsgestalt in scheinbar eigenständige Phasen dient der Klarheit in der Vermittlung und erleichtert die Analyse. Diese Differenzierungen sind keine Abschnitte, sondern stellen eigentlich Merkpunkte für den Fokus der Aufmerksamkeit dar und sind nicht allein bei Leistungsschützen notwendig, sie dienen auch der Optimierung des Bewegungsablaufes bei Bogenschützen mit anderen Zielsetzungen. Nur ein Bogenschütze, der diese Phasen unterscheiden und in Achtsamkeit miteinander zu einem eleganten Bewegungsfluss verbinden kann, wird das Bewusstsein und das Leibgefühl für sein Tun lenken und differenzieren lernen und so Leistung und Freude beim Bogenschiessen steigern können.
Die Lehrmeinung des Deutschen Schützenbundes unterscheidet acht Phasen im Schussablauf und verpflichtet die Trainer, diese Phasen mit dem Ziel der Optimierung des Bewegungsablaufs folgendermassen zu vermitteln:
- Stand und Positionierung auf der Schiesslinie
- Ergreifen des Griffstücks am Bogen
- Fingerplatzierung an der Sehne
- Vorspannung
- Vollauszug
- Ankern
- Endzug mit kraftvollem Durchziehen
- Nachhalten
Als einer der erfolgreichsten Bogentrainer der Welt hat Kisik Lee Sportbogenschützen mit Olympiamedaillen und Weltmeistertiteln ausgebildet. Aus seinen Trainingserfahrungen teilt er die Eigenschaften der jeweiligen Phasen im Schussablauf differenzierter ein, als es die Trainingsanweisung des DSB vorgibt. In seinem Buch „Total Archery“ unterscheidet er zwölf Phasen des Schiessverhaltens:
- Der Stand
- Einnocken des Pfeils
- Arbeit der Hände beim Ergreifen der Sehne und Ergreifen des Bogens
- Geisteshaltung und Visualisierung
- Vorbereitung (Setup)
- Voller Auszug
- Ankern
- Aufbau und Halten der Rückenspannung
- Zielen und der Endzug
- Lösen
- Nachhalten
- Entspannung und die Analyse des Schussablaufs
Wir folgen beim Sportbogenschiessen, im intuitiven Bogenschiessen, im therapeutischen Bogenschiessen und in Bogenseminaren im Rahmen von Coaching und Teambuilding der Methode Frangilli, weil sie die optimale Entwicklung eines mental und leiblich verankerten Bogenbewusstseins ermöglicht. In ihrem Buch „Der Häretische Bogenschütze“ haben Vittorio und Michele Frangilli ihre Philosophie des Bogenschiessens und des Trainingaufbaus beschrieben. Die Bogenschützenfamilie Frangilli hat sehr erfolgreiche Bogenschützen und Trainer hervorgebracht, doch gelten ihre Auffassungen in der Welt der konventionellen Bogentrainer als umstritten. Vittorio Frangilli hat lange nach traditioneller Lehrmeinung geschossen und damit mehrfach einen 1300er-Stern erreicht. Doch nach dem Erreichen dieses Leistungsniveaus entwickelte er aus seinen Erfahrungen den folgenden elfgliedrigen Schussablauf:
- Einnehmen des rechten Stehens: Füsse und Körper zur Scheibe ausrichten
- Das rechte Ergreifen: Bogenhand positionieren
- Finger auf der Sehne positionieren
- Ausrichten der Achse des Bogens auf die Scheibe
- Bogenschulter und den Bogenarm ausrichten
- Sehne bis zum vorgesehenen Auszug ausziehen
- Ankern der Sehnenhand
- Rückenspannung prüfen
- Visier mit Ausrichtung der Achse des Bogens und der Scheibe prüfen
- Visier zur Scheibe hin drücken
- Lösen
Nach Frangilli ist mit dem Lösen der Schussablauf beendet. Wir halten jedoch auch an dem sorgfältigen Nachspüren als einer zwölften Phase fest, weil die Verlaufsgestalt des Bogenschusses erst mit dem Nachspüren – des Sichvergewisserns dessen, was geschehen ist – in die Entspannung des Schützen übergehen kann. So wird vermieden, dass weder leibliche noch emotionale Restspannungen in die Gestaltung des nächsten Schusses hinübergenommen werden.