Pfeil und Apfel

Die Durchführung des therapeutischen Bogenschiessens

Der Bogenschuss hat eine klare Verlaufsgestalt, die sich scheinbar identisch wiederholt. Und doch kann man immer nur „jetzt diesen einen“ Schuss lösen; weder kann man den vorigen Schuss wiederholen noch den nächsten vorausnehmen, sondern immer nur diesen.

Vorbereitung

Vorbereitung

Jede Übungseinheit beginnt mit der Bereitstellung und der Aufnahme des Materials: Bogen, Pfeile, Köcher ggf. auch Arm- und Brustschutz. Zur Vorbereitung gehört auch das Wahrnehmen und Anschauen des Geräts in seiner funktionellen Schönheit, Gewahrwerden seiner Ausstrahlung und Ästhetik. Schon hier wird die übende Person an die Wahrung der Achtsamkeit herangeführt.

Stehen

Vor das Ziel treten und Erreichen des rechten Stehens

Bewusstes Wahrnehmen des Zieles dort in der aktuellen Distanz und des Zwischen-Raumes vom Ziel zum Schützen. Manche Bogenschulen sehen vor, dass man sich vor dem Ziel verneigt, um sich bewusst zu machen, dass es nicht um Töten in Kampf oder Jagd, nicht um Zerstörung geht, sondern um das Einüben von Anmut und Würde. Diese Verbeugung macht deutlich, dass der Bogenschütze in einen Prozess eintritt, der ihm zur Entwicklung dienen soll, indem er diesem Prozess dient.

Die therapeutische Person beachtet, wie die übende Person an die Schiesslinie herantritt, wie stellt sie sich auf? Hier zeigen sich Hinweise auf die Einstellung zur Übung und auf die Bezogenheit zum Ziel und zur aktuellen Aufgabe.

Ausrichten

Ausrichtung auf das Ziel

Die Füsse werden etwa in Schulterbreite auf eine Linie gesetzt, die von der Mitte des Ziels zum Schützen verläuft. Sie bildet schon zu diesem Zeitpunkt am Boden die Richtung des Pfeilfluges ab. Dies ist eine erste Ausrichtung auf das Ziel und eine Bestimmung des Weges, den der Pfeil nehmen soll.

Die therapeutische Person achtet darauf, wie sich die übende Person auf das Ziel bezieht: ist alle Aufmerksamkeit beim Ziel oder gleichermassen beim eigenen Standpunkt und dem Abstand zur Zielscheibe.

Schussvorbereitung

Vorbereiten des Schusses

Das Setzen der Bogenhand im rechten Ergreifen, das Einlegen des Pfeiles auf die Sehne, das Setzen der Sehnenhand. Wenden des Kopfes zum Ziel und Ausrichten des Blickes auf das Ziel. Gewahrsein des natürlichen Atemflusses.

Die therapeutische Person achtet darauf, wie der Bewegungsfluss der übenden Person aussieht: Geht sie mit dem Pfeil und der Sehne sorgsam und aufmerksam um oder etwa hastig oder unkoordiniert? Gegebenenfalls benötigt sie die Hilfe beim Zentrieren auf das aktuelle Tun im jeweiligen Augenblick. Etwaige Korrekturen werden schon hier angesprochen, indem man zunächst die Wahrnehmung der eigenen Befindlichkeit bei diesem Schritt anspricht

Heben

Das Heben des Bogens

Der Blick bleibt beim Heben und Spannen des Bogens ganz beim Ziel. Der Atem leitet die Bewegungen: „Indem ich einatme hebe ich den Bogen und bin mir des Atmens und Hebens bewusst!“ [Ein japanischer Bogenmeister – auf die Frage, wie man denn beim Heben und Spannen des Bogens richtig atme – fragte den Schüler „Und wie atmest du richtig, wenn du schläfst?]

Die therapeutische Person beachtet, wie Atmen und Bewegung zusammenpassen. Hält die übende Person etwa den Atem an? Gerät sie aus ihrem Atemrhythmus? Wie gut kann sie den Fluss des Tuns aufrechterhalten, kann sie sich vom Zeitmass des eigenen Atmens leiten lassen? In welcher Beziehung steht dies zum Umgang mit Aufgaben im Alltag?

Teilen des Bogens

Das „Teilen“ des Bogens

Der Atem hat das Heben des Bogens eingeleitet und sobald der Bogen am Scheitelpunkt des Hebens angekommen ist, beginnt im Übergang vom Einatmen ins Ausatmen das Spannen des Bogens durch den Druck der Bogenhand und den Zug an der Sehne.

Die therapeutische Person achtet in dieser Phase darauf, dass der Pfeil nicht himmelwärts zeigt, sondern dass die Bewegung des Bogens von der Sehnenhand ausgeht und die Körperhaltung beim vollen Ausziehen des Bogens nicht verdreht oder verbogen wird. Sollte dies auftreten, muss die übende Person gefragt werden, aus welchem Empfinden heraus sie solche Hilfsbewegungen ausführt. Neigt sie sich vom Ziel weg, zum Ziel hin? Geht sie in die Rückenlage? Neigt sie auch in Alltagssituationen dazu, sich angesichts von Herausforderungen zu verbiegen?

Spannung

Das Verweilen in der höchsten Spannung

Der Zenmeister und Bogenmeister Suhara Kôn Rôshi sagte, im „Teilen des Bogens“ öffne sich der Blick in eine andere Dimension.

Eugen Herrigel beschreibt in seinem Bericht über seine Lehrjahre beim japanischen Bogenmeister Awa, dass dieser ihn anwies, im „rechten Erwarten“ die höchste Spannung so lange zu halten, bis sich die Sehne ganz von selbst aus der Daumengrube löse, wie eine reife Frucht aufplatze.

Die therapeutische Person beachtet hier, wie die übende Person das Spannen aufbaut und hält. Geschieht dies gleichmässig oder ruckartig? Unter Ausprägung von Hilfsbewegungen? Verändert sie die Körperhaltung? Wie teilt sie ihre Kräfte ein? Bringt sie ihre Kraft zur vollen Wirkung? Kann sie lange genug in der vollen Gespanntheit verweilen? Etwaige Interventionen setzen an der Klärung an, wie die übende Person diesen Teil der Aufgabe umgesetzt und sich dabei selbst wahrgenommen hat.

Lösen

Das Lösen

Das Lösen des Schusses soll so plötzlich geschehen wie ein Funke aus einem Feuerstein springt, wenn ein Stahl auf ihn trifft; und zugleich so unmerklich plötzlich, wie Schnee von einem Bambusblatt abgleitet.

Die therapeutische Person achtet darauf, wie weit der Energieeinsatz im vollen Auszug des Bogens anhält. Lässt die übende Person vorzeitig los? Wie kann sie aus der Gespanntheit in die Gelöstheit wechseln? Das Empfinden bei diesem Übungsteil wird anschliessend erfragt und gegebenenfalls werden Parallelen zum gewohnheitsmässigen Umgang mit Aufgaben im Leben gezogen.

Nachspüren

Das Nachspüren

Wie das Nachspüren nach jedem einzelnen Schuss ist auch die die Nachbesprechung am Ende jeder Übungseinheit wesentlicher Bestandteil des therapeutischen Bogenschiessens. Diese Rückschau eröffnet der übenden Person die Möglichkeit, sich der Erfahrungen voll bewusst zu werden und die Fragen nach den Erfahrungsqualitäten lädt dazu ein, das Bewusstgewordene auch ins Wort zu bringen: Was war in der gerade erlebten Übungseinheit besonders schwierig, ärgerlich, ängstigend oder auch überraschend, vielleicht sogar beglückend? Hat der Bogen die übende Person etwas gelehrt? Die therapeutische Person achtet darauf, auf welche Weise die übende Person aus dieser Aktion hinausgeht. Kann sie nach dem Abflug des Pfeiles aufmerksam hinterhersehen bis ins Ziel? Lässt sich Zeit, die eigene Befindlichkeit nach dieser Phase wahrzunehmen? Oder verliert sie sofort die energetische Verfassung und tritt von der Schiesslinie ab?

 

Die gesamte Übung hat mit einer kurzen Phase des Sitzens in der Stille begonnen. Ebenso endet die Übungszeit. Erst danach werden die Materialien versorgt und eingepackt.

Nach dem Abschluss der gesamten Übungseinheit erfragt die therapeutische Person, wie sich die übende Person während des Übens wahrgenommen und gefühlt hat. Hat sie Fragen zu einzelnen Punkten? Was hat sie als schwierig empfunden? Liegt ihre Aufmerksamkeit mehr beim eigenen Handeln oder bei der Wahrnehmung des Befindens? Haben sich Verhaltenstendenzen gezeigt, die sie aus dem eigenen Leben kennt oder hat sie Neues erfahren?